Sonntag, 3. Februar 2013

Frank Turner glaubt nicht an Gott, nur an den Rock´n´Roll

Beim Gang durch die Mannheimer Maimarkthalle am vergangenen Freitag kommt mir unwillkürlich folgende Szene aus der US-Gangster-Serie „Boardwalk Empire“ in den Sinn: Der Chicagoer Mafioso Torrio besucht eine Bar-Mitzvah . Sein Handlanger Al Capone begleitet ihn. In der Synagoge kommt Capone mit einem alten Mann ins Plaudern. Der Alte erläutert ihm den Zweck der Zeremonie, die jüdischen Jungen in die Mannespflichten einzuführen. Anders als in der Katholischen Kirche, erklärt er, bedeckten jüdische Männer im Gebetshaus ihren Kopf, als Erinnerung daran, dass Gott über ihnen stehe. Also setzt der barhäuptige Capone seine Schiebermütze wieder auf. Der Alte empfiehlt ihm darauf, er solle besser eine Yakima tragen. „Warum?“, fragt der Mobster. Der Jude sagt: “You're a man, yet you wear the cap of a boy.” Fürs Dropkick Murphys-Fantum freilich scheint das Tragen von Schiebermützen eine notwendige Bedingung zu sein – wie der Turban beim Sikhismus. Eine höhere Dichte von Schiebermützen herrschte vermutlich ebenfalls bei SPD-Mitgliederversammlungen in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Frank Turner hingegen trägt keine Kopfbedeckung, er geht lieber lässig oben ohne. Der Singer-Songwriter glaubt an keinen Gott, der auf ihn herabschauen könnte – und vermutlich auch nicht an die SPD. Er glaubt an Jerry Lee Lewis und die heilende Kraft des Rock´n´Roll – ganz fest. Und jeder der diese Musik liebt, sollte an Frank Turner glauben: Der Mann aus dem südenglischen Winchster spielt unverblümten Folk-Rock, so mitreißend und rüde, man fühlt sich glatt aufs Newport Folk Festival des Jahres 1965 zurückversetzt, wo Bob Dylan in Begleitung der Paul Butterfield Blues Band das erste Mal die Gitarre einstöpselte.
Einen nicht unwesentlichen Teil seiner Durchschlagskraft verdankt Frank Turner seinen  Hintermännern, den Sleeping Souls: Tieftöner Tarrant Anderson scheint sich der Beweisführung verschrieben zu haben, dass sich Banklehre-Outfit, Hair-Metal-Posing und bumperndes Wechselbassspiel keineswegs ausschließen. Ben Lloyd an der Gitarre gerät gar völlig in Rage und sieht mit seinem pausbackigen Bubengesicht und verschwitzen weißen Hemd aus, wie der Klassenmoppel, der nach ein paar Pints auf der Schulparty endlich mal alle Hemmungen und schließlich auch die Hosen fallen lässt. Herrlich, der Typ! Matt Nasir (Keyboard) und Nigel Powell (Schlagzeug) agieren optisch unspektakulär aber handwerklich solide.
Doch all das wäre natürlich nur die Hälfte wert, ohne Turners ausdrucksvolle, Hookline-strotzende Songs und wunderbare Texte. Zeilen wie “There is no God/ So clap your hands together/ There is no God/ No heaven and no hell / There is no God/ We're all in this together/ There is no God/ So ring that victory bell” (“Glory Hallelujah”) oder “And I still believe in the need/ For guitars and drums and desperate poetry/ And I still believe that everyone/ Can find a song for every time they've lost and every time they've won” (“I Still Believe”) zeugen gleichermaßen von einem Witz und einer Grandezza, wie man sie in dieser Kombination heute nur selten findet.
Turner lebt von seiner Aufrichtigkeit und seinen alltäglichen Erfahrungen als unabhängiger Künstler, der unermüdlich arbeitet und tourt, bis zu dem Punkt, an dem man nicht mehr umhinkommt, ihn zu respektieren oder gar zu bewundern. Und so verkommt Turner trotz seines Hanges zur großen Geste nie zur Karikatur. Nichteinmal wenn er singt: “Now who'd have thought that after all/ Something as simple as Rock 'n' Roll would save us all/ Now who'd have thought that after all/ Something so simple, something so small / Who'd have thought, that after all it's rock 'n' roll.” So einfach ist das und so anrührend. Nehmt ab eure Schiebermützen! Amen!
Ach ja, die Dropkick Murphys haben ja auch noch gespielt. Und natürlich sorgten die Bostoner Folk-Punks erwartungsgemäß für ein Meer wogender Schiebermützen und schäumender Bier-Gischt. Die Seele berührt haben sie aber nicht.





2 Kommentare:

  1. hi! bin über popnetz.de zufällig auf dein blog gekommen.
    und bei der gelegenheit wollte ich dich auf das emegenza live band festival aufmerksam machen. eines der anstehenden konzerte findet am 23.03.13, 20 uhr, im schwimmbad musik club in heidelberg statt, wo die alternative rock band Cube auftreten wird. wenn du lust hast,
    reinzuhören: http://www.myspace.com/cubegermany
    infos zum abend:
    http://www.emergenza.net/default.aspx?pag=739&nav=DE&lng=de-de&idconcerto=567
    wenn du meinst, das ist was, dann lass dich blicken. ein tolles publikum ist willkommen! oder falls du lust hast, was zu schreiben: gerne!
    für infos zu tickets an mich wenden (ticket/9 €)

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    1. Hi Angel, danke für die Einladung, bei anderer Gelegenheit gerne. Eine Bandverarsche wie das Emerganza kann und will ich nicht unterstützen.

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