Montag, 4. Juli 2011

Der Bruce Springsten 2.0 heißt Brian Fellon

Die Leute stehen dicht gedrängt im Saal. Viele Zuschauer sind weiblich, die Gesichter jung und schweißnass. Für einen passionierten U-Bahngrabscher wäre das Konzert der amerikanischen Band Gaslight Anthem am Mittwoch, 29.6., im Hannoveraner Capitol ein Paradies.

Hinten im Zuschauerbereich stehen mit von der Hitze geröteten Köpfen die Eltern. Das Kind soll ja seine eigenen Erfahrungen machen – vom wochenlangen Gequengel am Abendbrottisch, weil Papa erst dagegen war, mal ganz abgesehen –, aber den Nachwuchs gänzlich schutzlos dem Einfluss dieses Brian Fellon ausliefern? Muss nicht sein.

Der 31-Jährige Sänger und Gitarrist des Quartetts aus New Brunswick, New Jersey, erinnert in seinem ganzen Habitus an den jungen, hungrigen Bruce Springsteen zu „Born to Run“-Zeiten. Beginnend beim weißen T-Shirt mit V-Kragen, aus dem kräftige, bis zu den Handgelenken mit Tattoos zugehackten Arme ragen, über die Leoparden-fleckige Gesichtsbehaarung, bis hin zur schwarzen Motorrad-Lederjacke auf den Promo-Fotos.

Auch musikalisch hat sich der blonde Wuschelkopf bei Springsteen einiges abgeschaut. Das fängt bei den schnörkellosen auf der schneidend klingenden Fender Telecaster Gitarre gespielten Songs an und hört beim leicht nöligen Gesang auf. Dazu kommen ein wenig U2-Epik, etwas Dylan-Gnarzigkeit, ein Hauch erdiger Blues und – ganz, ganz viel dreckiger, achselnässiger Punk.

Diese fast schon romantisierende Rückbesinnung auf die goldenen Zeiten amerikanischer Rockmusik gefällt nicht nur den wild durcheinander hüpfenden Teenies, die Pappschilder mit Liebesbotschaften in die Höhe halten, Pärchen, die sich gegenseitig mit verklärtem Blick die Liedtexte ins Ohr singen und vermutlich sogar den Eltern an der Hallenrückwand, sondern auch dem Boss selbst: Beim altehrwürdigen Glastonbury-Festival durfte Fellon mit auf die ganz große Bühne.

Gaslight Anthem kommen da auch noch hin. Einstweilen biegt und wiegt sich Fellon vor den 1600 im Capitol wie eine Weide im Sturm der Akkorde den er und seine Jersey Boys entfachen. Dabei strahlt er jene Mischung aus Virilität und Empfindsamkeit aus, die großen unnachgiebigen Barden des Alternative-Punk (Mike Ness), Pop (Springsteen) oder Country (Steve Earle) über die bloße Verklärung alltäglichen Straßenkötertums erhebt.

Gaslight Anthem sind definitiv Punkrock und definieren doch mit fast jedem Stück die Grenzen des Genres neu. Sie können nicht nur rhythmisch-wuchtige Party-Hymnen, sondern beherrschen die ganze Klaviatur der Gefühle. Das erhebt sie über die den üblichen Pop-Punk-Brei.

Dieser Text erschien am 1.7. 2010 in der Braunschweiger Zeitung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen