Sonntag, 16. Dezember 2012

Elder thrashmen – Kreator im LKA-Longhorn

Fueled by Fire, der Name ist Programm. Denn gleich meterhoch loderte das Feuer aus den Ärschen der Kalifornier und wärmte die Herzen der Thrash-Fans, die an diesem so eisigen wie verregneten Samstagabend den glatten Weg ins Stuttgarter LKA gefunden hatten. Besonders Klasse: Die Gitarrenarbeit des Quartetts, die häufig an die frühen Metallica erinnerte.
Wäre Indiana-Jones Death-Metal-Fan, zu seinen Faves gehörten ohne Zweifel Nile. Aus seiner Todesblei-Bundeslade zaubert Hobby-Ägyptologe und Seth-Jünger Karl Sanders seit fast zwanzig Jahren monolithische Sound-Pyramiden. Für die ausgesucht dunkle Atmosphäre sorgen neben dem wie aus grausigen Grüften grollenden Gesang und den mystischen Doppelgitarren – beide Pflichten teilt sich Sanders mit Dallas Toler-Wade, der, vom etwas unägyptischen D.R.I-Shirt abgesehen, Arnold Vosloo als Imhotep in „Die Mumie“ nicht unähnlich sieht – vor allem die Samples vorgeblich altägyptischer Musiken. Dazu kommt sphinxhaft-vertracktes Songwriting, dem George Kollias, von dem man ständig fürchtet, er werde gleich ohnmächtig von seinem Schlagzeughocker fallen, eine zusätzliche Dimension an Komplexität verleiht.

Wer mithin meinte, mit Nile sei, was die Erbarmungslosigkeit angeht, an diesem Abend die Spitze des Obelisken erreicht, wiegte sich zu früh in Sicherheit. Zum Auftritt von Morbid Angel verhielt sich die  Darbietung von Sanders und Co in etwa wie ein Scharmützel zwischen Demonstranten und Polizei auf dem Kairoher Tahir-Platz zum Einfall der Mongolen in den Kaukasus: David Vincent stapft in einer Art Leder-Rüstung, ausgestattet mit Baphomet- und Fell-Applikationen, auf die Bühne. Mit seinen schwarzen Koteletten und dicken Armen sieht er darin aus wie ein Hybrid aus einem höllischem Hunnen und einem  etwas größer gewachsenem Glen Danzig. Flankiert wird der wild grimassierende Frontmann dabei vom heftig sein Griffbrett strangulierenden Trey Azagthoth. Der bleibt dabei so cool, dass man ohne weiteres geneigt ist, dem Gerücht, er reise stets in einem beständig auf sechs Grad temperierten Tour-Bus, Glauben zu schenken.
Ruinöse Klassiker wie “Immortal Rites”, „Chapel of Ghouls“, „Pain Divine“, „Where the Slime Lives“, oder „Rapture“ strotzen nur so vor boshaftem Gitarrenspiel, handgelenkbrecherischem Drumming und frevlerischen Vocals. Und sind somit auch noch mehr als zwei Dekaden nach ihrer Entstehung geeignet, ganze Armeen nordischer Black-Metal-Emporkömmlinge das Fürchten zu lehren. Dem stehen auch neue Werke wie das rasend schnelle „Existo Vulgore“ oder „Nevermore“ vom jüngsten umstrittenen Album „Illud Divinum Insanus“ in nichts nach. Morbid Angel sind wieder eine Macht.
Doch nun zu etwas völlig Anderem, der besten Thrash-Band Europas: Kreator. Auf  Mille und Konsorten ist live stets Verlass,von daher sind zu viele der Worte gar nicht zu verlieren. Highlights in der Setlist sind neben alten immer wieder gerne vorgezeigten Schmuckstücken wie “Extreme Aggression”, “Phobia”, “Pleasure To Kill” oder “Endless Pain” auch neue Thrash-Pretiosen wie „Phantom Antichrist“, „Death to the World“ oder “Civilisation Collapse”.
Mille versprüht Gift und Galle wie eh und je – doch auf besonders einnehmende Art und Weise. Während der fast 45-Jährige in seinem Sendungsbewusstsein während früherer Zeiten manchmal doch etwas überspannt rüberkam, wandelt er heute leichtfüßig auf dem schmalen Grad zwischen pathetischem Zeremonienmeister, angepisstem Berufsjugendlichen und leicht selbstironischem elder thrashman. Ich meine, sich mit Ansagen wie „beim nächsten Song erwarte ich mehr Brutalität und Gewalt im Moshpit“ oder „seid ihr bereit, euch alle Umzubringen (vor „Pleasure to Kill“)“ nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, ist schon eine Kunst. Doch strahlen Kreator 2012 tatsächlich so etwas wie idiosynkratische Lebensfreude aus, die selbst Trey Azagthoth in seinem fahrenden Leichenschauhaus nicht kalt lassen dürfte. Kein Wunder also, dass die Metal-Gemeinde umgehend in nahezu pfingstliche Verzückung gerät. Da hätte man die „Flag of hate“ zu guter Letzt garnicht mehr hissen müssen.
Unterm Strich eine Demonstration massivsten Metals, bei der zuvörderst die Essener auftrumpften. Beachtlich, nach sechs Wochen Tour mit dem Vernehmen nach lediglich zwei Hotelübernachtungen. Respekt!

Dienstag, 11. Dezember 2012

Doro in Concert - Albern oder ehrlich?



Jetzt mal ehrlich Leute: Wenn man so unter Metal-Adepten in gemütlicher Runde bei ein zwei Trinkhörnern goldbraunen Gerstensaftes zusammensitzt, wird zwar gerne und kontrovers über die Relevanz des Post-Seasons In The Abyss-Slayer-Backkatalogs diskutiert oder darüber, ob jetzt Max Duhamel oder Derek Roddy die krasseren Blastbeats spielt. Der Satz, „Ey, hat eigentlich schon jemand die neue Doro gehört“, fällt hingegen relativ selten – im Grunde nie. Andererseits sind die Konzerte der deutschen „Metal-Queen” stets gut besucht, so auch am vergangenen Freitag im fast ausverkauften Substage. Und das trotz – um es mit der zu Unrecht vergessenen schweizer Band Messiah zu sagen – „Extreme Cold Weather“ und dem Umstand, dass die Düsseldorferin erst vor wenigen Tagen im nahen  Stuttgart gespielt hatte. Wie ist dieses Missverhältnis zwischen minderer künstlerischer Bedeutsamkeit und Publikumszuspruch zu verstehen?
Sicherlich nicht mit dem Kopf, denn der ist vom Beginn mit den Warlock-Klassikern „Burning Witches“ und „Fight For Rock“ an mit Wackeln beschäftigt. Eher schon mit dem Herzen, denn Blut aus dem ihren vergießt die zierliche Metal-Jeanne d’Arc gleich fassweise. Klar, Doro´s klassischer von Accept und Priest beeinflusster Metal, bei dem sich bei jedem zweiten Song auf jede dritte Achtel trefflich „Hey“ rufen lässt, ist vom Nieveau eher Stoppelackerrennen als Raumfahrttechnik, aber die 48-Jährige geht ihrem Beruf, ja ihrer Berufung, mit so entwaffnendem Freimut und offensichtlicher Einsatzfreude nach, dass es schwerfiele, wollte man sich ihrem schlichten Charme entziehen. Neigte die Sängerin nicht mitunter zu schwülstigen Pokahontas-Balladen wie „Herzblut“ oder „Engel“, die in ihrer Larmoyanz bis zur Grenze des erträglichen vordringen – von der anderen Seite winkt schon Andrea Berg –, ein solches Vorhaben wäre völlig aussichtslos.
Sicher, auch an den selbstreferentiellen Texten ließe sich herumkritteln. Ständig werden verbal die Fäuste in die Luft gereckt, die Köpfe gebangt und wird der wahre Stahl beschworen. Allein, man nimmt Dorothee Pesch zum eigenen erstaunen ab, dass sie jedes Wort, dass sie sagt oder singt wirklich ernst meint, dass sie jedes Klischee aus vollster innerer Überzeugung erfüllt. Dann prangert Doro noch pflichtschuldig das leidige “Lautstärkeverbot” bei hiesigen Metal-Konzerten an (“alles was man tun kann, ist noch lauter Brüllen”), widmet einen Song dem verstorbenen Ronnie James Dio („Hero“) und einen ihrer besten Freundin Regina Hallmich („Metal Racer“). Die vierköpfige Backing-Band rockt solide. Und wer so Evergreens wie „All We Are“ oder „Für Immer“ im Gepäck hat und obendrein noch neue Speed-Granaten wie, ähem, „Raise Your Fist in the Air“ fabriziert, kann sich ohnehin nur ganz schwer unbeliebt machen.
Man kann Doros kompromisslos ausgelebte Mental-Romantik albern finden, andererseits ist sie auch anrührend. Und darum geht es schließlich bei Musik.

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Auf Teufel komm raus - The Devil´s Blood und Attic in der Rofa

Eines vorweg: Trotz aller Bemühungen wollten sich Höllenfürsten jedweder Natur beim The Devil´s Blood Konzert gestern in der Rockfabrik nicht zeigen – auf Teufel komm raus nicht. Stattdessen manifestierte sich allerdings King Diamond höchstselbst. Der diabolische Däne offenbarte sich in seiner Inkarnation als Meister Cagliostro (benannt nach einem italienischen Alchemisten), seines Zeichens Stimm(ungs)kanone bei Attic. Das theatralisch geschminkte Gesicht des jungen mit Patronen und Nieten reich begüterten, beziehungsweise begurteten, Ruhrpott-Fünfers begeisterte nicht nur mit bockstarkem Gesang, sondern demonstrierte en passant auch noch eindrucksvoll wie viele Mercyful Fate-Aufnäher auf einer einzigen Lederjacke Platz finden. Obendrein hat der Meister auch noch ein Händchen für eingängige Melodien, die von der so abwechslungsreichen wie wohltemperierten Gitarrenarbeit von Rob und Katte sowie der teilweise charmant rumpelnden Rhythmus-Sektion absolut stilsicher untermalt wurden. In ihren epischeren Momenten erinnern Attic an absolute Helden der Breitwand-Fraktion wie Solitude Aeternus oder Candlemass („Evlyn“, „Join the Coven“, „The Headless Rider“), in den übrigen habe ich selten eine Band erlebt, die sich so nach Mercyful Fate anhört – außer vielleicht, erm, Mercyful Fate selbst. Außerdem sind mir Menschen mit Saint Vitus-Tattoos sowieso von grundauf sympathisch. Freunden genannter Bands sei das soeben erschienene Attic-Debüt, „The Invocation“ (VÖ: 7.12., Ván Records), also  wärmstens ans Herz gelegt.
Nach einer ausgedehnten Umbaupause, die sich vor allem durch die mit äußerster Akkuratesse ausgeführten Arbeiten des Altar-Roadies (Utensilien und Zierrat drapieren, Räucherwerk abbrennen, Kerzchen anzünden) in die Länge zog, begannen The Devil´s Blood mit reichlich Schweineblut im Haar und gar grauslichen Dämpfen und Gerüchen in der Nase endlich ihr mephistophelisches Werk.  "Während wir unsere Musik spielen, sind wir von Satan besessen", sagt TDB-Gemeindereferent und Gitarrist Selim Lemouchi gerne. Nun ja, ein gewisses Fanatischer-Hillbilly-Prediger-Charisma kann man Lemouchi, der sich mit eingefallenem Gesicht, Jesus-Bart, verklebten Locken und verdrehten Augen auf der Bühne geriert, nicht absprechen – das hat Neil Fallon von Clutch aber auch. Seine Schwester und Sängerin Farida Lemouchi, aka "The Mouth Of Satan", hingegen, interpretiert ihre Rolle als Frontfrau äußerst statisch, womit nicht nur bewegungsarm gemeint ist. Das erweist sich während das „Ritual“, wie TDB ihre Konzerte bezeichnen, seinen Fortgang nimmt auch zunehmend als Hemmschuh. Während Lemouchi, Ron und der dritte Mann an der Axt (sieht ein wenig aus, wie der junge Roky Erickson) eine wahrhaft wuchtige und dennoch fein verwobene und dynamische Dreifach-Gitarren-Dröhnung liefern, wird man des unentwegt auf einer Intensitätsstufe verweilenden uhuhaften mit Hall überladenen Gesangs von „The Mouth“ irgendwann überdrüssig – zumindest in der Live-Situation.
Diese andauernde  Reizlosigkeit macht die ausufernden meandernden Jam-Parts mangels melodiösen Halts und Kontrasts dann auch nicht leichter verdaulich. Und das ist schade, denn wenn Satan, wie Lemouchi mitunter andeutet, ihm Texte und Musik einflüstert, dann hat er sich als großer Fan von Bands wie May Blitz, Spooky Tooth und Peter Green´s Fleetwood Mac geoutet. Allesamt Bands, die ich sehr gerne höre. Aber ganz ehrlich, ich glaube wenn der Herr der Finsternis PR-mäßig was reißen wollte, wendete er sich wahrscheinlich an jemand mit dem Sex- und Massen-Appeal von Lady Gaga oder Madonna. Statt an einen Haufen struppiger blutbesudelter 70er-Psychedelic-Rockfans und eine Frau in mittleren Jahren, die mehr an eine Eurythmie-Lehrerein an der Waldorfschule erinnert, als an Astarte.
Unterm Strich bleibt somit die Erkenntnis: TDB sind eine gute bis sehr gute klassische Rockband, aber bislang bleiben Candlemass erhabener, Dio anrührender und Slayer beängstigender.

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Die Königin des Rock´n´Roll wird 80

"If Elvis is the King of Rock and Roll, then I'm the queen." Dieser Satz sagt eigentlich schon alles über Little Richard, der heute 80 Jahre alt wird. Trotzdem will ich über Richard Wayne Penniman, geboren am 5. Dezember 1932 in Macon, Georgia, noch ein paar Worte verlieren: Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass ein schwuler schwarzer Rock´n´Roll-Sänger mit Pompadour-Frisur im Umfeld des amerikanischen Südens, das Billie Holyday etwas mehr als eine Dekade vorher noch in ihrem Lied „Strange Fruit“ – der Körper eines gelynchten Schwarzen, der an einem Baum hängt – so eindrucksvoll besungen hatte und in das Little Richard 1955 mit einem gellenden "A-wop bop-a loo-mop, a-lop bam-boom!“ lautstark hereinplatzte, überhaupt seinen 30. Geburtstag erlebte.

„Er ist in Macon, Georgia, mit diesem schmalen Menjou-Bärtchen und einem verdammten roten Kleid aufgetreten. Alle haben sich dummes Ding genannt und (mit nasaler Stimme) ‚Uuh‘ und ‚Aah‘ gemacht. Sie haben ihre Homosexualität nicht nur im Verborgenen ausgelebt. Das war unerhört“, befand Motörheads Lemmy neulich mir gegenüber im Interview.
Wie unerhört Little Richards Auftreten damals für seine Zeitgenossen war, ist für uns  Nachgeborene nur schwer vorstellbar. Einen wagen Eindruck vermittelte mir ein Gespräch, das ich unlängst in einer Schwulenbar in New Orleans mit einem greisen Gast führte, während wir ein paar amerikanische Dünnbier kippten und uns ein Spiel der Saints anschauten. Die Repressionen (Polizeigewalt, Diskriminierung) , denen Homosexuelle in den Südstaaten damals ausgesetzt waren, standen jenen, unter denen die Schwarzen zu leiden hatten, in nichts nach. So betrachtet dürfte allenfalls der kleinwüchsige schwarze einäugige Jude Sammy Davis Junior noch schlechtere Startbedingungen für eine erfolgreiche Karriere im Showbiz gehabt haben, als Richard Penniman.
Doch all das nur am Rande, denn die Herzen der Jugend flogen Little Richard sicher mehr wegen seiner schrillen Unangepasstheit, als wegen seiner fragwürdigen sexuellen Orientierung zu. Nochmal Lemmy: „Davor hatten wir zwar Bill Haley. Aber er war ein kleiner dicker Mann, der schreckliche karrierte Tartan-Jacketts trug. Haley hat schon gute Musik gemacht, aber irgendwie war es nicht das Wahre. Dann kam Elvis – so wolltest du aussehen. Und Little Richard – so wolltest du singen.“ Oder wie es Jimi Hendrix einmal ausdrückte: "I want to do with my guitar what Little Richard does with his voice."
Und tatsächlich: Vergleicht man Elvis’ Covers von “Rip It Up”, “Long Tall Sally” oder “Ready Teddy” mit den ursprünglichen Versionen, stellt sich schon die Frage, wer hier eigentlich König oder Königin ist. Mit der obligatorischen Prise Irrsinn rockt Little Richard immerhin sogar eine  Schmonzette wie "Goodnight, Irene".
Wie viele der alten Rock´n´Roller  fühlte sich allerdings auch Little Richard aufgrund seines christlichen Glaubens extrem schuldig. Jerry Lee Lewis sagte,“ ich spiele die Musik des Teufels und dafür werde ich zur Hölle fahren“. Der Killer versuchte sich später als Prediger, Richard begab sich ins Priesterseminar. „Auf Tour in Australien hat er eines Tages seine Ringe ins Meer geworfen und verkündet, er wolle sein unstetes Leben beenden und Priester werden. Beim Seminar ist er dann freilich immer im gelben Cadillac vorgefahren. So hatten es sich seine Lehrer vermutlich nicht vorgestellt“, amüsiert sich Lemmy.
Meine Lieblingsanekdote über Little Richard stammt allerdings von Randy Bachmann. Der werkelte eines Tages im Studio an einem Song und fand, ein hämmerndes Rock´n´Roll-Piano sei genau das fehlende gewisse Etwas. Da die Bachman-Turner Overdrive damals extrem erfolgreich waren, Randy also das nötige Kleingeld hatte und sich einen Jugendtraum erfüllen wollte, lud er Little Richard ins Studio ein. Das Problem: Richard, zwar gewiss kein Faulenzer am Klavier, konnte nur in G, C, oder D, nicht aber in A spielen, der Tonart von Bachmanns Song. Also ließen sie das Band langsamer laufen, so dass Richard den Track in G einspielen konnte, hinterher beschleunigten sie es wieder. Als Little Richard das Ergebnis hörte, rastete er völlig aus, da er dachte, man habe ihn ersetzt. Auf die Versicherung hin, dass es nach wie vor er sei, kommentierte er nur, er habe garnicht gewusst, dass er auch in A spielen könne.
Das nenne ich gesundes Selbstbewusstsein. Also wenn ich diesen Post mit der Aussage schließe, „Little Richard ist einfach der Größte“, wird er dem sicher zustimmen.

Freitag, 30. November 2012

Lass krachen Opa – Motörhead in der Offenbacher Stadthalle

Motörhead sind wie Weihnachten: Man trifft sich jedes Jahr zur selben Zeit mit denselben Leuten, singt dieselben Lieder und macht sich mit demselben unnütze n Zeug im Gepäck wieder auf den Heimweg – trotzdem geht man immer und immer wieder hin (so wie ich am vergangenen Montag).  Warum? Weil es immer schon so war, weil man nicht wüsste, was man stattdessen tun sollte, weil Opa vielleicht das letzte mal dabei ist und weil es natürlich trotz allem Spaß macht – irgendwie.
Natürlich finden sich im Weihnachtspunsch auch immer ein paar Wehrmutstropfen:  Sei es die bucklige Verwandtschaft , die viel zu laut und dazu noch falsch singt (Diaries of a Hero), oder die Tatsache, dass die Ellenbogen- und Beinfreiheit am Esstisch gleich null ist, weil Muttern mal wieder viel zu viele Leute eingeladen hat (die Offenbacher Stadthalle war so gnadenlos überfüllt, wie ein Gänsezuchtbetrieb in der Vorweihnachtszeit. Echt übel).
Wenn dann allerdings die ersten Glühwein gekippt sind und die alten Tanten (Anthrax) anfangen,  die besten Schoten aus ihrer Jugend rauszuhauen („Caught in a Mosh“, „Antisocial“ „Indians“), wie „jaja, damals mit dem Onkel Ian auf dem Heuboden, das war ganz ein wilder und der fuhr soooo ein Brett, hihihi, und der gute Belladoncamillo, wenn der mal zu viel am Messwein genippt hatte, das war auch kein Heiliger“, wird´s ja meistens doch ganz kurzweilig. So auch heuer.
Der unbestrittene Höhepunkt ist natürlich, wenn Opa schließlich die Weihnachtsgeschichte vorliest. Opa kann erzählen. Denn er hat viel erlebt und schafft es deshalb, selbst die abgedroschenste Geschichte so zu erzählen, dass man ihm gerne zuhört. Manchmal baut Opa sogar ein paar unvorhergesehene Schlenker in die ewig gleiche Story ein („You Better Run“, „Rock It“,  „Are You Ready“). Ob er das macht, weil er die Geschichte etwas interessanter gestalten will oder er langsam ein wenig huschig wird und die festgeschriebene Abfolge einfach nur vergessen hat, bleibt dabei im unklaren. Egal, wir freuen uns einfach, dass wir ihn noch haben, unseren Opa. Denn wenn er mal nicht mehr da sein sollte, dann werden das verdammt trostlose Weihnachten. Mach´s gut Opa, ich hab´ dich lieb. Nächstes Jahr sehen wir uns wieder. Du kommst doch, ja?

Donnerstag, 29. November 2012

Teenage Death Explosion - Eine Jugend für das Todesblei


Tahtahtata, düdeldidüüüh, sanfte Key-Board-Klänge umschmeicheln die Hörmuschel. Doch die Prelude ist nur ein kurzes Ablenkungsmanöver. Ab Sekunde 53 von „The Fire Temples“ bestürmen Teenage Deathexplosion den arglosen Musikkonsumenten mit nicht mehr nachlassendem Furor und Ingrimm: Magen-verdrehende Blast-Beat-Attacken (selten unter 210 bpm), Hardcore-lastige, fett groovende Gitarren (erinnern an frühe Obituary oder Unleashed) und Vocals wider jede natürliche Kehlkopfanatomie. Das sind die hervorstechendesten Stilmerkmale der Karlsruher All-Star(oder sollte ich sagen Alt-Star?)-Combo, bestehend aus verdienten Underground-Kämpen, die ihre Jugend lokalen Kult-Kapellen wie Fertilizer, Mortifer oder The Starfuckers geopfert haben. Technisch umgesetzt ist das erbarmungslose Schlachten durchweg auf höchstem Niveau. Besondere Erwähnung verdient die „Gesangsleistung“ von Dennis Winter: Wie ein infernalischer Ein-Mann-Zombie-Chor schreit, growlt, rülpst und keift sich der Ex-Mortifer-Shouter durch die zehn Hassklumpen, dass schon vom Zuhören der Hals weh tut. Dafür würden sich andere Bands zwei oder drei Vocalisten leisten. Beeindruckend, wie ich finde. Runterladen könnt ihr euch das Teil hier.

Mittwoch, 28. November 2012

Tod, aber erstaunlich frisch – Jimi Hendrix zum 70ten Geburtstag



Viele, viele Zeitungsspalten wurden in den letzten 66 Jahren gefüllt mit Artikeln über Leben und Werk von Jimi Hendrix. Seit der damals 23-jährige US-Gitarrist an einem frühen – wahrscheinlich nebeligen – Septembermorgen 1966 mit seinem Manager, Ex-Animal-Basser Chas Chandler, im Swinging-London ankam, um mit der bluesversessenen britischen Rock-Aristokratie um Beck und Clapton zuallererst den Boden aufzuwischen und dann seinen weltweiten Siegeszug als einer der stilbildendsten Gitarristen den 20. Jahrhunderts anzutreten. Hendrix´ musikalischer Werdegang bis zu seinem frühen von zahlreichen Verschwörungslegenden umrankten Tod, am 18. September 1970 in einem Londonder Hotelzimmer, wurde somit schon hinreichend seziert. Und wie Lemmy Kilmister mir neulich im Interview gesagt hat: „Es ist nur ein Geburtstag, ein zeitlicher Zufall, das bedeutet überhaupt nichts. Ich glaube auch nicht, dass Hendrix seinem Geburtstag ihrgendeine Bedeutung beigemessen hat. Wahrscheinlich hat er sich die meiste Zeit an seinen eigenen verdammten Geburtstag sowieso nicht erinnert. Wir waren die ganze Zeit verstrahlt.“  
Wie begeht man also diesen 70. Geburtstag, den James Marshall Hendrix am gestrigen Dienstag, 27. November, gefeiert hätte? Man legt einfach mal wieder seine Platten auf; möglichst unbefangen. Zumindest jene, die er zu Lebzeiten nach eigenem Willen veröffentlicht hat.
„Purple Haze“, der Eröffnungssong  auf „Are You Experienced?“, dem 1967 erschienen Debüt der Jimi Hendrix Experience, wirkt mit seinem pumpenden Beat, ikonischem Gitarrenlick und Hendrix´ genial phrasiertem Gesang auch anno 2012 so frisch, als käme er gerade aus dem Presswerk. Lediglich die psychedelischen Zwischenspiele klingen für heutige Ohren leicht antiquiert. „Manic Depression“, ein im dreivierteltakt einherpolterndes Groove-Monster mit endcoolen Breaks, würde auch aus dem Repertoire aktueller Stoner-Rock-Helden wie Red-Fang oder Queens of the Stone Age positiv herausstechen. Extrem lässiges Riffing, legere Licks, Vintage-Uhh-Uhh-Chöre und ein so lakonischer wie einprägsamer Refrain: Die „Billy“ Roberts-Nummer „Hey Joe“ hätte, vielleicht nicht jetzt, aber in den 90ern allemal, zum Monsterhit getaugt. Ein nettes Liebesliedchen im Rumba-Rhythmus ist „May This Be Love“; nicht mehr, nicht weniger. „I Don't Live Today“  bleibt in überbordenden Jam-Wucherungen hängen, trotz apart phrasiertem Chorus. Pure Liebesmagie versprüht hingegen „The Wind Cries Mary“. Und „Fire“ versengt einem kraft des minimalistischen Riffs, funkigen Rhythmus und Mitch Mitchells Oktopus-Drummings noch immer die Haare im Ohr – Garagenrock vom feinsten.  Dagegen kann „Third Stone From The Sun“, dessen abstruse Stimmeffekte  nach Darth-Vader mit verstopfter Nase klingen, heute nur noch als skurriles Zeitdokument gelten. „Foxy Lady“ hingegen ließe noch heute in jedem Strip-Club  die geilen Straßenköter hecheln.  Und einen perfekteren Rausschmeisser für eine durchzechte Nacht im Indie-Club, als „Are You Experienced“, kann man suchen. „Are You Experienced“ ist roh, brachial, unverfälscht gefühlvoll und daher zeitlos.
Nach dem Hendrix mit dieser Scheibe, und Auftritten, bei denen er mit seinem Mund Soli spielte, die andere nicht mit den Händen gemeistert hätten, den Blues bereits in die Stratosphäre befördert  hatte, hob er ein halbes Jahr später mit „Axis: Bold as Love” erst so richtig ab. Mit Fliegenden-Untertassen-Rock entführt uns Captain Hendrix in bislang unerhörte Weiten seines Klanguniversums. Wobei er mit seiner schwerelosen Überschall-Gitarre allerlei waghalsige Manöver vollführt. Er lässt sie trudeln, flattern, schlingern, Loopings vollführen oder wie einen Stuka aufheulen – und zeigt der Welt en passant, wie man ein wahrhaft melodisches Gitarrensolo spielt.
Leider haben viele der hinzugefügten – damals bahnbrechenden – Sound- und Effekt-Spielereien über die Jahrzehnte Faszination eingebüßt: Nach dem albernen Ufo-Intro und der nervigen Feedbackorgie „EXP“ kann man daher auch beim beschwingt swingenden „Up from the Skies“ getrost die Skip-Taste drücken.  Das erste Highlight ist „Spanish Castle Magic”, dessen witziger Text (“It´s very far away, it takes a bottle every day to get there”), scharfes Riff und schreiendes, leider ausfadendes, Solo bezaubern. “Ain't No Telling“ erfreut als brillanter funkiger Garagenrock. „Little Wing“, sicher eine der anrührendsten und vor liebevoller Details strotzendsten Ballade der Rock-Geschichte, strapaziert heutige Ohren allerdings mit seinen wabernden Klangeffekten. Nicht so der markerschütternde Proto-Metal-Stampfer „If 6 Was 9“. “You’ve Got Me Floating” geht als wüster Urahn von Lenny Kravitz´ “Are You gonna go my way” durch. “Castles Made Of Sand” wartet einmal mehr mit begeisternden Gesangsphrasierungen auf. „One Rainy Wish“ wiederum hat einigen wirr flitternden Gitarreneffekt-Schabernack zu bieten, verliert sich ansonsten aber in recht belanglosem Hippie-Gedudel. „Little Miss Lover“ verführt mit funkigem Groove und einigen coolen Licks, der mit allerlei Klang-Tand überladene Gesang allerdings lässt die Romanze recht schnell abkühlen.
In seiner Zeit war „Axis“ sicher ein soundtechnisch wegweisendes Werk, dessen eigentlich mehrheitlich sehr gelungene Kompositionen aber an einem Übermaß an Effekten krankten. Kein Wunder, dass Chas Chandler den Produzentenjob nach der Hälfte der Aufnahmen frustriert von Hendrix Spieltrieb an den Nagel hängte. Insgesamt zu viel Schnickschnack. Hendrix Pionierleistung, mit einer Fender Strat Dinge zu tun, für die sie sicher nicht konstruiert worden war, bleibt davon freilich unberührt.
„Electric Ladyland“, der von Hendrix selbst produzierte Schwanengesang der Experience, erschien 1968 Doppel-LP. Nach einigem Geplänkel (“...And The Gods Made Love”, “Have You Ever Been”) bohrt sich “Crosstown Traffic“ wie ein glühender Draht in den Hörnerv. Ein fiebriger Groove-Rocker, Du kannst die Luft in der drückenden Sommerhitze über dem Asphalt der Straßen von New York, wo die Aufnahme entstand, förmlich flimmern sehen. Der absolut fesselnde, satanische Sumpf-Blues-Jam „Voodoo Chile“, veredelt von Steve Winwoods kreischender Orgel und Mitch Mitchells einmal mehr tollkühnem Getrommel kann als Sternstunde des Genres gelten. Einen krassen, wenn auch nicht gänzlich misslungenen Gegensatz bildet da Bass-Mann Noel Reddings Bubble-Gum-Power-Pop Nummer „Little Miss Strange“. „Long Hot Summer Night“ kommt dann wieder äußerst entspannt daher. Super relaxt, wie ein süßlich riechender knisternd abbrennender Riesen-Yogi an einem lauen Frühsommernachmittag. Fffffhhhh-pfffuuhhhh, aahhhhhhh. Nicht unverzichtbar, aber immerhin flott ist „Come On“. Earl Kings von der Experience etwas aufgepimpter Rhythm and Blues-Hupfer. Das Gitarren-Lick von „Burning Of The Midnight Lamp“ klingt ein wenig nach 80er Jahre-Fernsehserien-Titelmelodie, was einen feinen Gegensatz zu den schwankend schwebenden psychedelischen Chören ergibt.  Leicht abgehoben ist auch „Rainy Day, Dream Away“, ein verhuschter Pillen-Swing mit sprechender Gitarre. Jetzt, „1983... (A Merman I Should Turn To Be. Hendrix´ ureigene Glücksbärchi-Apokalypse. Ein fast vierzehnminütiges Mammut von einem Werk. Ein Mammut allerdings, das rosa Seifenblasen aus seinem flauschig behaarten Rüssel bläst (die Haare sind Lila), die sich am Himmel in freundlich winkende Lachmöwen verwandeln, um dann von zischenden insektoiden Kampffliegern hinweggefegt zu werden. Genial, sollte zwischendurch bei den Treffen des Koalitionsausschusses von CDU und FDP gespielt werden. Infernalisch auch der forsche Feuerwehr-Tango „House Burning Down“, eine vergessene Perle zweifellos. Den krönenden Abschluss bildet Dylans „All Along The Watchtower“. Die glitzernden und schillernden von Hendrix in endlosen Stunden wie in einem himmelsstürmenden Kaleidoskop turmhoch aufeinandergeschichteten Gitarrenspuren  repräsentieren das vielleicht schönste und seelenvollstes Spiel, zu dem dieser Mann fähig war. Dem steht „Voodoo Child (Slight Return)“ nur in Nuancen nach. Das glorreiche, leicht verschleppte Riffing, und der aufreizende Sprechgesang machten den Song zur Hendrix-Nationalhymne, hätte er sich später nicht kurzerhand die amerikanische zu Eigen gemacht.
„Ladyland“ ist insgesamt vielleicht nicht ganz so unverblümt wie das Erstlingswerk, aber direkter als „Axis“ und mit reichlich Song-Perlen bestückt.
Bleibt „Band of Gypsys“, das von Hendrix 1970 mit der gleichnamigen Post-Experience-Formation herausgebrachte Live-Album. Wie behauptet wird, ein unterbewertetes Stück Vinyl. Nun, Hendrix´Army-Kumpel Billy Cox erweist sich am Bass als vitaler, Jimis springflutartige Gitarrenkaskaden raffiniert aber unaufdringlich kanalisierender Gegenspieler, der so einfallslose wie wichtigtuerische Billy Cox am Schlagzeug hingegen als bloßer Passant. Die energetische Garagen-Rock-Attacke der frühen Jahre fehlt hier fast völlig. Die endlosen Jams, von Jimis äußerst sparsam eingesetztem Gesangstalent nur sporadisch aufgelockert, kurieren auf Dauer jede Insomnia. Nichtsdestotrotz enthält „Band of Gypsys“ mit dem beängstigenden Blutnebel-Blues „Machine Gun“ einen letzten Höhepunkt in Hendrix Schaffen. Unterm Strich mehr ein Album für Musiker – Gitarristen insbesondere, versteht sich.
Am Ende dieses Abhörmarathons steht die Erkenntnis, dass dem Musiker Hendrix vom nagenden Zahn der Zeit weit weniger Gefahr droht, als von seinem eigenen den Horizont verdunkelnden Mythos. Der verstellt nämlich allzu leicht den Blick aufs Wesentliche: die wunderschönen Songs und das von Hendrix´ selbst verleugnete Gesangsgenie. Wiederentdecken lohnt sich. Alles Gute zum Geburtstag Jimi, hope you´re still floating!