Donnerstag, 20. September 2012

Endlich wieder Negermusik! Marius Müller-Westernhagen auf "Hottentotten-Tour. Di, 18.9., SAP-Arena Mannheim

In den fast 40 Jahren seiner Karriere hat Marius Müller-Westernhagen schon viele Rollen ausgefüllt: Die des sympathischen Rock´n´Roll-Rüpels, des charmanten Klassenkämpfers, des schwanzgesteuerten Saufaus, des arroganten Armani-Rockers und des Silbereisen-kompatiblen Schnulz-Barden. Jetzt, im gesetzteren Alter ist MMW sichtlich um Erdung bemüht. Der Titel seiner aktuellen Konzertreise, „Hottentotten-Tour“, eine Referenz auf die „Negermusik“, wie die Kriegsgeneration den Rock´n´Roll voller Abscheu titulierte, lässt da nichts an Deutlichkeit vermissen. Besinnung aufs Wesentliche, lautet die Devise. Also weg mit den Fetträndern, den musikalischen, wie denen am äußeren Erscheinungbild. Denn eines weiß der „dünne Hering“ aus dem Ruhrpott genau: "Für Dicke gibt's nichts anzuziehn, Dicke sind zu dick zum fliehn." Körperlich zeigt sich der 63-Jährige bei seinem Auftritt am Dienstag in der Mannheimer SAP-Arena folglich in guter Verfassung. Angetan mit rosa Blümchenhemd und engen schwarzen Jeans durchmisst der nicht mehr ganz frische Pfefferminz-Prinz mit John-Lennon-Brille auf der spitzen Nase und Goldohring im faltigen Ohrläppchen im typischen Trippelschritt sein Revier. Auch die Produktion ist dem Projekt „Abspecken“ angemessen. Eine Videoleinwand füllt den gesamten Bühnenhintergrund aus. Zu Beginn erstrahlt sie in nüchternem Weiß, die Textzeilen von „Der Braune Mann“ flimmern darüber. Beim zweiten Lied, „Schweigen ist Feige“, färbt sie sich blutrot. Sehr stilvoll. Die Musiker davor wirken wie Schattenrisse. Zweidimensional ist ihr Spiel aber keineswegs. Denn was ist das für eine Band, die Westernhagen für seine musikalische Schlankheitskur zusammengetrommelt hat! John Conte (David Bowie) am Bass und Aaron Comess, der in den 90ern mit den Spin Doctors („Two Princes“) für feuchte Kordhosen sorgte, hinterm Schlagzeug, verschleppen und verziehen den Song als dehnte sich die Zeit selbst. Unbeirrbar wie ein Unimog über afrikanische Schlaglochstrassen bollert diese Rhythmus-Sektion. Brad Rice lässt nicht nur bei „Wir haben die Schnauze voll“ die Slide Gitarre jaulen wie ein gequältes Äffchen – der Texaner gehört sonst zur Gang von Country-Star Keith Urban. Das prächtig vertüddelte „Alleine(-öh-öh)“ darf der großartige Frank Mead, der außerdem die Blues-Harp und Percussion bedient, mit einem trötig-töften Saxophon veredeln. Der Rest des insgesamt 9-Köpfigen Ensembles, der Neu Yorker Alan Clark an der Orgel, „Musikdirektor“ Kevin Bents (Keyboards) und der einizige Deutsche Mohikaner, Markus Winstrort (Fehlfareben), aus Neuss am Rhein sowie zwei Backgroundsänger, leisten ebenfalls solide Arbeit. Allerdings ist auch der „spartanische“ Westernhagen nicht frei von Sünde. Der lyrische Geschlechter(nah)kampf wird vom Träger des Bundesverdienstkreuzes von je her nicht nur mit dem Florett ausgetragen. "Gott hat dem Mann ein Hirn und einen Penis gegeben, aber leider nicht genug Blut, um beides gleichzeitig zu versorgen", hat der ewige Westerhagestolz selbst einmal bekannt. Das kann beim Texten schonmal zur ironiefreien Plattitudenhäufung führen. Mitunter hat er sich bei der Themenwahl für seine Songs vielleicht auch von künstlerischem Sicherheitsdenken leiten gelassen haben. „Ich hab' meinen Spaß, du hast deinen Spaß - 'ne Frau und ein Mann, darauf ist Verlaß!“, heißt es in der Blues-Schunkel-Nummer "Lieben werd' ich dich nie". Das interessiert doch die Leute! Vielleicht ist das ewige Interesse am dichterischen Doktorspiel aber auch naturgegeben. Denn wie sagte die ehemalige Punk-Fürstin Gloria von Thurn und Taxis einst? Der Schwarze, mithin der mariussche Hottentot, schnacksele nunmal gerne. Und schließlich hat Westernhagen aus dem psychotischen Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern auch schon geniale Zeilen geschöpft:“ Wir waren so ein schönes Paar, wir beiden, Ein ganzes Leben wollt' ich's mit Dir treiben“, singt er in „Fertig“. Nur um im flotten Twist der Misanthropen-Hymne „Herr D.“ spießbürgerlich nachzureichen: „Ich hasse die Leidenschaft, die idiotische Liebe. Das ist was für Tiere, nichts als Triebe. Am liebsten habe ich meine Ruh, das gilt auch für dich, du blöde Kuh.“ Das ist schon großes lakonisches Kinodrama. Manchmal ist leider aber auch schlicht musikalische Einfallslosigkeit zu beklagen. Die "Hu-hu-hu"-Passagen für den Publikumschor in "Krieg" kommen von den ohnehin hinter jedem zweiten Song hervorlugenden Stones. „Wir verdienten vierhundert Mark pro Auftritt, Für 'ne Rolling Stones Kopie“, heißt es ja schon in „Mit 18“ von 1978. Heute werden es ein paar Mark mehr sein, sonst hat sich nicht viel geändert. „Lichterloh“ ist glattweg von „The End“ der Doors abgekupfert. Heuler wie „Engel“ oder „Durch deine Liebe“ sind so schmalzig, dass man bedauert, kein Pumpernickel dabei zu haben. Dann würde es fürs Abendbrot reichen. Und „Jesus“ erinnert den Rezensenten an seine Zeit in der evangelischen Jugendgruppe. Zum Glück gibt es zum Schluss noch den famosen Standardabsacker „Johnny W.“ Der hat uns schließlich noch nie enttäuscht, genausowenig wie Westernhagen heute. Alles in allem ein runder Abend mit prima Negermusik.

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