Donnerstag, 11. Oktober 2012

Chaostage in Karlsruhe nur noch peinlich: Kid-Punks wollen Ü-40-Slime-Party stürmen


Die Atmosphäre ist gediegen – noch. Die Deutschen Ur-Punker Slime haben etwa dreihundert Besucher ins Substage gelockt. Der Altersschnitt liegt bei um die 40, am Tresen wird diszipliniert um Bier und vegane Wraps angestanden, nach versehentlichen Rempeleien sich höflich entschuldigt. Nur eine minderjährige Punkette kann es nicht lassen und bezichtigt die Begleitung des Spießertums, weil die sich aus Gründen des Nonkonformismus ein Hermès-Tuch um das blonde Haupt gewunden hat. Ansonsten bekannte Gesichter überall, viele hat man lange nicht gesehen, freundliches nicken. Die Haare sind wenn, dann grau gefärbt. Sicherheitsnadel in der Backe trägt niemand. Auf der Bühne läuft eine Dia-Schau, die Band beim Konzert, beim Fußball, beim Biertrinken, in schwarz-weiß, hach, das waren noch Zeiten.
Pünktlich um 21 Uhr stürmen Sänger Drik „Dicken“ Jora und Genossen auf die Bühne. Seit 1979 sind auch sie nicht frischer geworden, klar, doch machen alle einen recht rüstigen Eindruck. Mit Bassistin Nici, seit der Neugründung 2009 dabei, die – frostblonde Stachelfrisur, dezenter Nietengürtel – aussieht wie der wahr gewordene feuchte S&M-Traum männlicher linkskonservativer Grünenwähler, ist sogar was fürs Auge dabei. 
Als Opener gibt´s mit „Wir Geben Nicht Nach“ gleich den ersten Smash-Hit. Durch die Ohrstöpsel – ja, das  strapazierte Gehör muss inzwischen geschützt werden – klingt das zunächst wie „Die Liebe ist da“, geht garnicht, also raus mit den Dingern. Im Galopp geht´s weiter mit „Schweineherbst“, „Sich Fügen, Heißt Lügen“, „Störtebeker“. Das Publikum: zeigt freudige Begeisterung.
Währenddessen fliegen draußen die ersten Flaschen. Etwa sechzig meist sehr junge (Kid-)Punks hängen seit dem Nachmittag auf dem Gelände ab. Inzwischen sind viele auch sehr betrunken, grölen „lasst uns rein, lasst und rein“ – für lau versteht sich. Während im Innern die alternde Punk-Bourgeoisie zu Texten von Erich Mühsam feiert (auf ihrem neuen Album haben sich Slime der Lyrik des 1934 von der SS ermordeten Anarchisten bedient), macht vor der Tür das jugendliche Punk-Prekariat, das vermutlich Hanns Eisler nicht von Erdbeer-Limus unterscheiden kann, Rabatz.
Die mit der Feindseligkeit überforderten, weil üblicherweise mangels Notwendigkeit nicht kampferprobten, Substage-Ordner verriegeln die Tür. Davor versuchen ihre Kollegen den pöpelnden Mob vom Eingang fernzuhalten. Etwa zehn total aggressive und bis zur Artikulationsunfähigkeit berauschte „Punks“ drängen an, andere rotten sich im Hintergrund zusammen, einige Feiglinge werfen aus dem Schutz der Gruppe Flaschen. Auch diesen Schreiber erwischt ein Geschoss an der Schulter, klar ist: Wenn das jemand an den Kopf bekommt, geht es böse aus.
Einige Chaoten lassen ihre Agrressionen nun an den nahen Baustellen-Absperrungen aus, ein klägliches Bild. Ein völlig weggeknallter Jugendlicher begräbt sich selbst unter dem Bauzaun, den er umgerissen hat. Im Rudel ist den Freizeit-Revoluzzern dennoch schwer Paroli zu bieten. Versuche der Ordner, die Gewalttäter aus der Gruppe herauszuholen scheitern.
Genug ist genug, die Polizei hat sich bislang unsichtbar im Hintergrund gehalten. Nach für die Bedrängten quälend langen Minuten kommt die Kavallerie. Etwa fünfzig Polizisten in Kampfmontur rücken vor und sorgen mit resolut routiniertem Körpereinsatz für Ruhe im Karton. Mehrere Chaoten werden überwältigt. Der Platz wird geräumt, nach wenigen Minuten ist alles vorbei.
Laut Polizei kamen alle Festgehaltenen im Laufe der Nacht wieder frei. Zehn Punks müssten mit Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung rechnen. Außerdem wurden 71 Platzverweise ausgesprochen.
Dabei hätte die Aktion „Chaostage“ in Karlsruhe wirklich witzig werden können. Von Humor zeugen die im Internet veröffentlichten Aufrufe  jedenfalls. Angekündigt werden „Zelt-Stadt im Schlosspark“, zur Halbzeit ein „Bergfest mit Lagerfeuer auf dem Marktplatz“, „Das verrückte Bauzäunelabyrinth“ in der Innenstadt, „Bobbycar-Rennen“ auf derZoobrücke und ein „Chaos-Block“ auf dem gleichzeitig stattfindenden unsäglichen internationalen Maskottchentreffen.
Süffisant bemerken die Initiatoren weiter, das bevorstehende Ereignis, habe die Stadt derart in Panik versetzt, dass sie, um zu verhindern, von tausenden Punks aus aller Welt in Schutt und Asche gelegt zu werden, nun selbst handangelegt habe. Allüberall würden Gebäude ab- und das Pflaster aufgerissen, viele Strassen seien schon im Vorfeld mit Bauzäunen dicht gemacht worden. Kurz, die öffentliche Ordnung in Karlsruhe müsse nicht weiter untergraben werden, dass besorge die Stadt in Eigenregie, buchstäblich, dank U-Strab.
Man könne sich so schöneren Programmpunkten widmen, hieß es: „Wie die Bürger verschrecken, dass sie vor Panik zur französischen Grenze rennen, und 10000 Liter Freibier, die vernichtet werden wollen." Weiter habe man „im Blaulichtmilieu recherchiert. Dabei erfuhren wir (...), dass die Polizei bereits zusammen mit der Stadtverwaltung Pläne zur Evakuierung der Stadt ausgearbeitet hat. Den Grund für die Evakuierung sieht die Polizei darin, dass der brave Bürger bereits beim Anblick einer kleinen Gruppe feiernder Punks jeden Anstand und jede Moral verlieren könnte und sich womöglich nach den Chaostagen selbst die Haare grün färbt und sich eine Sicherheitsnadel durch die Backe steckt."
Doch wie gesagt, hätte witzig werden können.
„Weist du, was die Kids draußen nicht kapiert haben ist, dass das hier ein Konzert für ihre Väter ist“, sagt einer drinnen im belagerten Substage. Tja, der demographische Wandel macht auch vor der Punkbewegung nicht halt. Dass die „Bullen“ aber ausgerechnet das Konzert einer Band schützen müssen, die einst mit Liedern wie „Polizei SA/SS“ Furore gemacht hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch wie haben die Chaos-Initiatoren im Netz richtig erkannt: „Chaostage sind, was wir draus machen.“

1 Kommentar:

  1. Das mit den Evakuierungsmaßnahmen hab ich nirgends mitbekommen, wäre mal dufte irgendeinen Link oder so dafür online zu stellen.
    Desweiteren frag ich mich was denn euer Problem ist? Natürlich gab es dort einige Idioten die wirklich nicht nachgedacht haben. Aber was erwartet ihr denn wenn ihr 2012 zu den Chaostagen aufruft? Ich muss ehrlich sagen dass selbst wenn ich nicht so bescheuert wie die ganzen Kidpunks war, ich mich nicht wundere dass ich noch in der Zelle gelandet bhin, nur weil die irgendwelche Scheisse gebaut haben. Das ist bei solchen Veranstaltungen nunmal normal. Dass es dich natürlich aufregt wenn du ne Bierflasche abkriegst ist verständlich, aber das war von einer Person aus einer großen Gruppe, und gerade solche Superpunks sollten wissen dass man deswegen nicht alle über einen Kamm scheren sollte. Drinnen war doch offensichtlich eine gute Party, was stört es also was draußen ist wenn ein paar 14-19 Jährige Krawall mit den Bullen anfangen, wie es die ausgelutschten Ü40er selbst noch vor 20 Jahren gemacht haben?

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