Sonntag, 17. Februar 2013

Punk-Lektion - Cryssis in der Hackerei



Die Geschichte von Cryssis, auch wenn der Name das nicht vermuten lässt, ist die Geschichte einer Freundschaft: Vom Ritchie, ein Junge aus der ostenglischen Kleinstadt Basildon, als Schlagzeuger der deutschen Rockband Die Toten Hosen zu Ruhm und Reichtum gekommen, macht seinen alten Kumpel Dick York ausfindig. Mit dem hatte er von 1981 bis 83 in der Punk-Combo „Cry Dyann“ gezockt, bis York frustriert aufgab und die Gitarre an den Nagel hängte. Doch irgendwie hatte Ritchie all die Jahre das Gefühl, dass noch nicht alle Rechnungen dieser Band beglichen sind. Also hängt er seinem einstigen Kompagnon die Klampfe wieder um, ruft ein paar Kollegen an und Cryssis beginnen zu sein. Am Donnerstag spielten sie in der Alten Hackerei im Kreativpark.
Doch zuerst: The Nerves. Die Stuttgarter liefern gradlinigen 77´Punk US-amerikanischer Prägung, unspektakulär, aber mit großem Spaßfaktor. Akzente, besser gesagt, Ausrufezeichen, setzt Frontfrau Kamauha. Nicht nur mit ihrem meterhohen Monster-Mohawk und etwas verstörenden Bühnenbenehmen, das zwischen zuckelnder Marionette und verängstigter Ballerina gigampft.  Wunderlich ist auch der jodelnde Gesang des kapriziösen Wesens. Die Songtitel klingen meist englisch („Welcome to the Coffin of the Living Dead“, köstlich!), die Texte aber mehr nach Französisch, angeblich sind sie allerdings Japanisch. Ein richtiger Kessel buntes! Stimmung wollte in der halbvollen Hackerei aber noch nicht aufkommen, warum weiß niemand. An der band hat es jedenfalls nicht gelegen.
Dann kommt Dick York, ein älterer nicht ganz schlanker Herr mit Lederjacke, das Gesicht verschmitzt, wie bei einem Troll Doll, nur mit kurzem Haar. Cryssis treten in der Besetzung mit zwei Gibson Les Paul-Gitarren, Fender-Jazz Bass, vierteiliges Schlagzeug-Set an, klassisch. Traditionell ist auch der Sound: Mersey Beat meets Motörhead meets The Clash. Very British es ist. Ist es nicht?
Das Cryssis kein schnödes All-Star-Projekt, sondern eine Band mit Seele sind, wird schnell klar. Yorks leicht angeraute, nicht übermäßig ausdrucksstarke, Stimme und seine simplizistischen aber zackigen Gitarrenleads verleihen eingängigen  Pop Punk-Hymnen wie „Could it be“, „Mr Jack“, „So clean“ oder „Plundersquad“ genau den richtigen Schneid. Trip ist einer der enthusiastischsten Gitarristen, dem man seit längerem auf einer Bühne beim  herumhüpfen zusehen durfte und Tommy Snide am Bass gibt den jungen Johnny Ramone mit Motorradhelmfrisur. Nicht zu vergessen Vom Ritchie, der, immer leicht vor dem Beat galoppierend, eine Gratislektion in Punk-Drumming gibt. Unwillkürlich flattert der Gedanke vorbei, was für einen anarchischen Drive die Lieblingsband doch einst hatte, bis sie ein gewisser Mikkey Dee in eine präzis operierende Metal-Maschinerie umprogrammierte – auch wenn Lemmy Kilmister das immer abstreitet.
Sogar das Steißlahme Publikum kommt schlussendlich in die Gänge. Ein Gig wie aus dem Lehrbuch also? Fast, hätten Cryssis den alten Punk-Slogan „Fuck the System“ nicht zu genau genommen und das Soundsystem ruiniert. Die stromlosen Minuten werden allerdings  mit kurzweiligen Plaudereien mit den Besuchern überbrückt. Irgendwann fließt der Saft zumindest auf der Bühne wieder, so dass es weitergehen kann – wenn auch in reduzierter Lautstärke. Und schließlich ist, booom, die Power wieder da und einmal mehr wird die Überzeugung gefestigt: Entgegen der Auffassung der Gerichte sind 95 Dezibel nie und nimmer die angemessene Schallobergrenze für ein Rockkonzert – NIEMALS! Da halt ich´s mit Exploited: Fuck The (Rechts)System!




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