Freitag, 30. August 2013

"Ruhrpott, Zerstörung!" - Kreator veröffentlichen "Dying Alive"




Mit ihrer Live-DVD/Blu-ray/Doppel-CD (auch als Ohrbuch erhältlich) "Dying Alive" (Nuclear Blast/Warner), die seit heute  in den Läden steht, hat Europas größte und beste Thrash-Band eine Werk- und Leistungsschau abgeliefert, wie sie wertiger nicht sein könnte. Nach 45 Dates in Folge läuft die Kreator-Maschinerie am 22. Dezember 2012 beim Konzert in der Oberhausener Turbinenhalle wie mit Ochsenblut geschmiert. 
 Mille brüllt,  „Ruuuhhhhaaaaaapott, Zerstöööhrung“, und dann geht das los: Anderthalb Lehrstunden in akkurater Thrash-Demontage. Klassiker wie „Exreme Aggression“ oder „Endless Pain“, Songs aus der mittleren Periode („Phobia“) und neue Werke wie „Civilisation Collapse“ entfalten dabei gleichermaßen ihre von der Zeit scheinbar unverminderten zerstörerischen Kräfte. Es wird deutlich: Trotz einiger kurzer Schwächephasen, waren Kreator in jeder Phase ihrer Geschichte in der Lage, erstklassig verarbeitetes Edelmetall abzuliefern.
Bei allem Gemetzel und Geschrote sind die einzelnen Bauteile dank des glasklaren Sounds stets unterscheidbar. Die Gitarren sind schön kroß wie ein Mundvoll Metallspäne, der Bass crunchy wie ein in Bierteig frittiertes Winkeleisen und die Drums so knackig wie ein Essig eingelegter säurefester Stahlträger.
All das wird noch überragt von Sami Yli-Sirniös exquisitem Gitarrenspiel: Seine melodischen Licks und Soli bilden den perfekten Widerpart für Milles maliziöses Geschredder. Das Zusammenspiel der beiden gipfelt in einfach nur geilen Double-Lead-Gitarrenparts, die noch einmal Unterstreichen, was für ein Glücksgriff der Finne nach dem Abgang von Tommy Vetterli für die Band war.
Aber auch die übrige Mannschaft versieht ihren Dienst vorbildlich: Ventor schlägt drein wie ein Brauereigaul und verleiht jedem noch so einfachen Bumm-Bumm-Tschack mehr Heavyness als ein ganzer Stall voll hochgezüchteter Blast-Beat-Frickel-Stuten zu erzeugen in der Lage ist. Während Basser Christian Giesler gewohnt souverän den Rhythmus-Teppich unterfüttert. 
Mille selbst ist bestens bei Stimme und spritzt dermaßen Gift und Galle, dass selbst supertoxische Viecher wie Würfelqualle und Kegelschnecke neidisch werden. Dazu gibt es diese herrlichen typischen Mille-Ansagen („Jedes Mal, wenn wir in den Ruhrpott kommen, habe ich das Gefühl, im Publikum herrscht eine totale Aggression.“ „Beim nächsten Song möchte ich mehr Gewalt und Brutalität im Moshpit sehen“), von denen man nie wirklich weiß, ob sie jetzt selbstironisch sind oder doch einen gewissen Ernst in sich bergen. Faszinierend ist und bleibt allerdings immer wieder, dass jemand, der so schön kreischen kann wie Mille, dermaßen schlecht singt. Aber wer ist schon perfekt?
Ein Wehrmutstropfen ist auch die hypernervöse Schnittfolge der DVD. Das ewige Herumgehoppse zwischen Gitarrengurt-, Frettboard-, Moshpit-, Hallendach-, Ventors-Hinterkopf- und was sonst noch für Kameras ist einfach nervig. Zwar beruhigt sich das Ganze nach und nach ein wenig, trotzdem bekommt der Zuschauer vor lauter Hektik nur selten mit, was die einzelnen Akteure eigentlich an ihren Instrumenten machen. Das ist schade, denn gerade wer selbst in die Saiten haut oder die Stöcke schwingt, schaut sich bei derlei Gelegenheiten doch gerne den ein oder anderen Kniff ab, wofür bei Konzerten dieser Größe vom Zuschauerraum aus ja kaum Gelegenheit besteht. Aber das mag Geschmackssache sein.
Das Bonusmaterial allerdings bleibt tatsächlich ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Schön, man erfährt vom Soundingenieur, dass die Musiker mit In-Ear-Monitoring nix von der Show mitbekommen und er deshalb Publikumsreaktionen zumischt. Sowie vom Drum-Techniker, dass Ventors Snaerdrum auf der Bühne das lauteste Instrument ist (da wäre man allerdings auch alleine drauf gekommen). Auch dass Kreator in Polen schon einmal morgens um vier aufgetreten sind, weil sie wegen Problemen an der Grenze Verspätung hatten, aber  die Show nicht absagen wollten. Bilder davon gibt es allerdings nicht. Eine ausführlichere Tourdoku wäre halt schön gewesen. Herrlich dagegen das Interview-Snippet mit dem polnischen Chirurg, der während OPs mit seinem Team Kreator hört.
Trotz kleinerer Mankos bietet „Dying Alive“ nicht nur einen Top-Gegenwert für´s Geld, sondern ist auch eindrückliches Dokument dafür, dass Kreator ihre Wut auch im 30. Jahr ihres Bestehens noch immer nicht im Griff haben. Oder um es mit den Worten eines im Bonus-Teil interviewten, leicht angesäuselten Ruhrpott-Thrashers der ersten Stunde zu sagen: „Hävvy Mäddl is se law, all assas must die!“ So sieht´s aus, Freunde!

Die Würfelqualle des Thrash: Mille Petrozza

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