Dienstag, 17. September 2013

Rockpioniere im Rentnerparadies - Die Toten Hosen mischen das SWR3 New Pop Festival in Baden Baden auf

Campino bei einem Konzert in Berlin 2013. Foto: Promo/Carla Meurer und Gregor Fischer

«Macht so weiter, draußen auf den Straßen von Baden-Baden», rief Moderatorin Barbara Schöneberger den enthusiasmierten Toten Hosen-Fans im prächtigen Festspielhaus der Kurmetropole zu. Mit rüden Rempeltänzen und  Sprechchören hatten die den Auftritt der Düsseldorfer beim sogenannten «Special» am Samstag, das den Abschluss des dreitägigen SWR3 New Pop Festivals bildete, garniert. Mit einer energiegeladenen Best off-Show haben die Punk-Veteranen auf den Umstand reagiert, dass der Südwestrundfunk ihnen den Titel «Pioneer of Rock» verliehen hat. Wie Sänger Campino launig kommentierte, «nicht gerade ein Nachwuchspreis».
Laudator Wolfgang Niedecken, seines Zeichens angejahrter «Kölsch-Pionier» und Sänger der Mundart-Combo Bap, tröstete den Kollegen mit einem Lindenberg-Zitat: «Hinterm Lebenswerk geht´s weiter!» Wenigstens wurde den stets auf die Bewahrung eines Rests Straßenköter-Integrität bedachten Hosen zum wurmstichigen Pionierstand noch das eherne Prädikat «Rock» verliehen. Wohingegen die Scorpions, die der Welt immerhin  unvergängliche Hardrock-Hymnen mit so sprechenden Titeln wie «Rock you like a hurricane» hinterließen, bevor sie in den 90ern auf ihre Stromgitarren zu pfeifen begannen, vom öffentlich-rechtlichen Preisstifter vor zwei Jahren folgerichtig zu Pop-Pionieren degradiert wurden.
Den Nachweis, dass sie auch jenseits der fünfzig – mancher wird da ja schon frühverrentet – noch nicht reif fürs Altenteil sind, blieben die Toten Hosen wie erwähnt nicht schuldig. Doch der erste Liveslot gehörte James Blunt, der mit so handgedrechselten wie geschmackvollen Alabaster-Pop-Perlen wie „Blue On Blue“ oder „Bonfire Heart“ auf einer Welle der Begeisterung surfte – und später sogar auf seinem Piano.
Alex Hepburn, als „Englands sexiest Schulabrecherin“ und neue Janis Joplin angekündigt, was definitiver Unsinn ist (zumindest das mit Janis), lieferte hingegen einen etwas hölzernen Auftritt zum Halbplayback. Immerhin war zu merken, die richtige Stimme hat sie, wenn auch zur falschen Musik. Pseudorockigen aber dafür glamourösen Powerpop kann Pink besser.
Tim Bendzko schließlich kam und tat, was er am besten kann: der sympathische Tim Bendzko sein. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Berliner nach dem großen Erfolg seines 2011er Debüts „Wenn Worte meine Sprache wären“ inklusive dem Monsterhit „Nur noch kurz die Welt retten“, nicht den Boden unter den Füßen verloren hat, sondern wie zu hören war mit „Am seidenen Faden“ einen richtig guten Nachfolger vorgelegt hat.
Dann kamen die Hosen: Campino läuft schon  nach fünf Minuten schon die Soße runter, die Saitenfraktion beharkt ihre Instrumente mit routiniertem Starrsinn und Schlagzeuger Vom Ritchie, der timingmäßig immer ein wenig zu früh dran ist, verhindert mit seinem nervösen Spiel bravourös und verlässlich, dass das ganze irgendwann doch noch in bloßen Pop-Mainstream abgleitet.
Übelwollende könnten jetzt vermuten, dass die Hosen auch nach dreißig noch so frisch wirkten, liege allein am bedächtigen Charme des badischen Rentnerparadieses, in dem sie heute auftreten. Doch so ist es ganz offensichtlich nicht, führt uns aber zurück zum eingangs dokumentierten subversiven Aufruf der Schöneberger. Denn ein Musikfestival, bei dem die schwarzen Sherriffs, die hier Anzüge statt Overalls tragen, schon nervös werden, wenn man sich mit einem Bier in der Hand vom Foyer des Barocktheaters in den Innenraum begeben möchte – oder noch schlimmer, gar auf die Straße! –, wo der britische Liedermacher Tom Odell im Verein mit einer Bande Langhaariger gerade einen donnernden Bluesrock-Jam hinlegt, und der höchste Grad von Rock´n´Roll-Rebellion darin besteht, in der Langen Straße besoffen an einen Laternenpfahl zu pinkeln, könnte gelegentlich einen Hauch frischen anarchischen Windes vertragen.
Denn, den Publikumserfolg einmal beiseitegelassen – die 20 000 Tickets für die 10 Konzerte waren binnen kurzem ausverkauft –, nicht alles was öffentlich-rechtliche Radiomacher gerne über den Äther schicken, ist wirklich neu oder gar in künstlerischer Hinsicht spannend. Am Donnerstag zum Beispiel wurde allein der mittelenglische Liedermacher Jake Bugg mit einer erfrischend unprätentiösen Darbietung dem Etikett «Trendfestival der Popmusik», mit dem der  Sender die Veranstaltung schmückt, gerecht.
Die hochgelobten aber musikalisch allzu anbiedernden und sehr beliebig zwischen Arcade Fire und Coldplay agierenden Indie-Rock-Newcomer Bastille etwa würden es anderswo nicht einmal in den Fahrstuhl schaffen.
Auch dem jungen englischen Zahnspangenwunder Birdy kann mit seinem 2011 veröffentlichten Debüt immerhin noch das Attribut «neu» beigestellt werden, was keineswegs für alle Acts galt. Noch muss die 17-Jährige, das zeigte sie am Freitag im Festspielhaus, aber den Unterschied zwischen emotional und  schwülstig lernen.
Später am Abend überzeugte dafür der schon erwähnte Tom Odell. Der 22-jährige Pianostühle herumkickende Singer-Songwriter überraschte mit einer Kraft strotzenden Reminiszenz an gute britische Bluesrock-Traditionen. Ebenso mitreißend agierte das schottische Trio Biffy Clyro («Bubbles»), zu dessen Beschreibung in  Anbetracht seiner neo-progressiven musikalischen Ausrichtung und fast 18-jährigen Bandgeschichte allerdings wieder die Prädikate «Neu», noch «Pop» nicht passen.
Dem Baden-Badener Publikum freilich waren solche Feinheiten im feuilletonistischen Diskurs offenkundig herzlich schnuppe. Drei Tage lang wurde «ordentlich aufs Blechle gehauen» (Schöneberger) und jeder etwaige Anflug von Langeweile unverdrossen und rhythmisch weggeklatscht – wie sich das auch bei Marianne und Michael schon seit Jahren bewährt hat.
Aber es gibt ja noch die Toten Hosen und die Schöneberger und ihr gemeinsames Plädoyer für die ungehemmte Freisetzung der aufsässigen Urkraft des Pop. Allein, es blieb beim Ideellen – und ruhig auf Baden-Badens Straßen.


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