Freitag, 20. Dezember 2013

Ein Besuch im Ork-Kindergarten - Das Knockout-Festival in Karlsruhe

Sieht aus wie Barbie, rockt aber wie Big Jim: Doro Pesch. Fotos(3): Crazy Fink
Für die Beschreibung der Besucher von einschlägigen Extremmusik-Ereignissen, wie etwa dem „Wacken Open Air“ (WOA), greifen subkulturell nicht ganz so bedarfte Kollegen gerne auf die Floskel von den „Schwarzen Horden“ zurück. Womit sie auf den vermeintlich einheitlichen Kleidungsstil der Metal Fans anspielen. So wird es auch wieder in der Nachberichterstattung des „Knockout Festival“ zu lesen sein, das am vergangenen Samstag zum sechsten Mal in der Karlsruher Europahalle abgehalten wurde. Waren Ränge und Parkett der Spielstätte von der überaus zahlreich erschienen Kundschaft doch nahezu geschwärzt und der Fotograben vor der Bühne bei den Auftritten von Bands wie Pink Cream 69, Saltatio Mortis, Doro oder Sabaton zum bersten gefüllt, was auf ein Medienaufgebot in Bataillonsstärke schließen ließ.
Tatsächlich aber ist diese Gleichmacherei in etwa so fundiert, wie die Behauptung, alle Chinesen sähen gleich aus. Denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die nachtfarbene Metal-Uniform als zwar nach bestimmten Regeln erstellter, aber höchst individuell gestalteter Ausweis der eigenen musikalischen Präferenzen, ergo Persönlichkeit: Obligatorisch ist das Band-Shirt mit dem Signet einer vom Träger geschätzten Gruppe. Diese sollte entweder möglichst obskur sein, also breite Genrekenntnis signalisieren, oder, im Falle populärer Bands wie Iron Maiden oder Metallica, möglichst verwaschen sein, um langjährige Szenezugehörigkeit herauszustellen.
Darüber hinaus existiert eine ausgeklügelte anlassbezogene Kleiderordnung, durch die geregelt ist, welche Hemden wann gezeigt werden dürfen: Logos der auftretenden Band sind im Grunde tabu (es sei denn, das damit bedruckte Textil ist ganz besonders ausgebleicht), solche wesensverwandter Gruppen aber legitim. Folglich würde kein Metal-Fan bei Verstand im Leibchen einer Softeis Metal-Truppe wie Nightwish eine Tech-Death Metal-Darbietung etwa von Necrophagist besuchen. Davon, dass er das Shirt einer solchen Schlonz-Band gar nicht besäße, einmal ganz abgesehen. Ausgenommen von der Norm sind Motörhead-Shirts, die dürfen  wegen des besonderen Stellenwerts immer und überall getragen werden.
Ethnologisch interessant wäre noch eine der Untersuchung der „Kutte“, einer Jeansweste, die ausgestattet mit einer Unzahl entsprechender Aufnäher, noch differenzierter Auskunft über die musikalische Ausrichtung ihres Besitzers gibt. Aber ein solches Vorhaben sprengte diesen Rahmen endgültig. Wirft dieser Exkurs doch schon jetzt die Frage nach seine Sinnhaftigkeit auf.
Die lässt sich wie folgt beantworten: Ein übergroßer Anteil der Knockout-Besucher gibt sich als Anhänger bestimmter Bands überhaupt nicht zu erkennen. Es dominieren vielmehr Merchandise Produkte bestimmter durchkommerzialisierter (Massen)Events, wie dem WOA oder Kreuzfahrten, auf denen Rockbands statt Alleinunterhalter das Showprogramm bestreiten.
Metal-Fundamentalisten würden diese offensichtliche Abkehr von der subkulturellen Individualisierung hin zur Sozialisierung als Symptom der viel beklagten Ballermannisierung der Heavy-Szene interpretieren. Einer quasi Überfremdung durch die sich Extrem-Musik Ultras in ihrem ureigenen Milieu vom Mainstream-Publikum bedrängt fühlen. Ein nachvollziehbares Urteil, zumindest für Menschen, die, um ein Beispiel aus einem anderen Popkulturellen Bereich heranzuziehen, das Tragen von Calvin Klein-Unterhosen nicht als Kriterium für Mode-Expertise gelten lassen.
Das musikalische Programm beim diesjährigen Knockout ist zumindest streckenweise entsprechend: Lordi, eine martialisch kostümierte Melange aus Kiss und Gwar, liefert den passenden Soundtrack zum Hobbit-Kinostart. Das orchestrierte Ork-Gebrüll der Finnen gleicht der Kampftechnik eines Höhlentrolls: nicht sonderlich filigran, aber effektiv. Denn bei eingängigen Monster-Hymnen wie „Hardrock Halleluja“ oder „Sincerley with love“, die wahrscheinlich auch die Ork-Kindergärtnerinnen den Ork-Kindern in der Ork-Kita vorsingen, grölt die ganze Halle begeistert mit.
Die Mittelalter-Rocker Saltatio Mortis gehen kaum weniger poppig und Klischee-behaftet ans Werk. Allerdings stehen sie damit anderen Vorreitern des Genres wie Schandmaul oder In Extremo in nichts nach. Von den offenbar zahlreich erschienenen Wochenend-Kriegern und Burgfräuleins werden sie entsprechend abgefeiert. Nicht zu Unrecht, denn dass die Karlsruher mit Alea dem Bescheidenen über einen dynamischen Frontmann verfügen und ihren Job so einsatzfroh wie professionell erledigen, lässt sich nicht bestreiten. Ein Extralob gibt es für einen pfiffigen Text mit aktuellem Bezug wie „Wachstum über alles“ zur Melodie vom Deutschlandlied.
(Hair)Metal-Queen für immer.
Dass nicht jeder Griff in die Stereotypenkiste in die Peinlichkeit führt, beweist einmal mehr Doro Pesch. Die Düsseldorferin sieht zwar aus wie Barbie in der Leder Corsage, rockt aber wie Big Jim. So kann die deutsche Metal-Königin auch in ihrem dreißigsten Bühnenjahr noch überzeugen. Hauptsächlich liegt das natürlich an unsterblichen Old School Metal-Gassenhauern wie „Burning The Witches“ oder „All We Are“ – sogar ein Schmachtfetzen wie „Für Immer“ ist aus dem Mund der zierlichen Blondine immer wieder irgendwie anrührend – aber auch die jüngeren Songs fallen nicht groß ab.
Keinen Stimmungsabfall gab es auch bei den Rausschmeißern Sabaton. Sänger Joakim Brodén hatte sein Publikum vom ersten Akkord an im Griff. Für Anhänger der reinen Schule ist zwar auch der schnörkellose Power Metal der runderneuerten Formation kein Leckerbissen (zu viel Keyboard-Puderzucker), das Party-Publikum goutierte den Nachtisch aus Schweden aber umso mehr.

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