Donnerstag, 10. September 2015

Fast wie beim Zahnarzt - Reverend Shine Snake Oil Company

Nein, das ist kein hundsgewöhnliches Konzert – und das von Anfang an. Oder wie viele Shows habt ihr schon gesehen, bei denen der Gitarrist zur Einstimmung erst einmal einige Minuten Zahnseide zwischen den Saiten seines Instruments hindurchzieht? Eben! Das soll jetzt nicht heißen, dass Auftritte der Reverend Shine Snake Oil Company über diese Soundspielerei (es klingt ein wenig, als würde man mit dem Plektron die Saiten entlangstreifen, nur, öhm, faseriger) hinaus viel mit einem Zahnarztbesuch gemein hätten – gewiss nicht. Was Frontmann Claudius Pratt und seine ölige Gesellschaft an diesem Donnerstagabend, 3. September,  in der Alten Hackerei darbieten, hat viel mehr den Charakter Happenings. So hätten es zumindest unsere Vorfahren in den lysergsäuregetränkten 60er Jahren bezeichnet.
Männer spielen Musik. Sie tragen schwarze Anzüge und Bärte und sehen so eher aus wie Halsabschneider denn als Musiker (oder Musiker aus einer Zeit, in der das noch ein und dasselbe war).  Auch die Musik ist schwarz, tiefschwarz: Blues, Soul, Dark Jazz. Roots Musik, die in psychedelischer Formlosigkeit aufgeht. Die Soundtracks von Nick Cave und Warren Ellis kommen in den Sinn. Erstaunlich, welche Wucht die Band mit zwar verstärkten, aber nicht elektrifirzierten Instrumenten wie Stehbass und Westerngitarre entfaltet.
Da den Arrangements bis auf ein gelegentliche repetitive Riffs, Licks oder Grooves weitgehend die Strukturen fehlen, käme beim Zuhören aber wohl doch irgendwann strapaziöses Dentalpraxen-Feeling auf, wäre da nicht Claudius Pratt, der Angeryman, der Reverend, der mit goldberingten Händen mysteriöse Heilmittel für allerlei moderne Beschwerden anbietet. Ganz zuvorderst Langeweile.
Gesanglich gibt der in Dänemark lebende Exil-New-Yorker so eine Art Afro Srceaming Lord Sutch. Seine Körpersprache wechselt zwischen Soul-Man, Baptistenprediger und Vodoo-Priester: Booty shaking, Armerudern, Körperzucken, Augenrollen. Schweißtreibend, hemmungslos, intensiv, hypnotisch. Klarer Fall: Dieser Reverend lebt nicht zölibatär, in seinem Gesangbuch sind Bilder von nackten Weibern, seine Messen feiert er um Mitternacht, sein Taufbecken ist voller Whiskey, sein Weihrauch stinkt nach Schwefel und sein Chrisam ist aus Schlangenfett. Kurz: Seine Kirche ist „on the wrong side of town“. Und jeden verdammten Augenblick rechnet man damit, dass Frauen ihre Brüste entblößen, Vipern durch die Reihen gereicht werden wie in den Hinterwäldler-Pfingstgemeinden der Appalachen oder der Reverend zumindest eine schwarze Katze am Schwanz über seinem Kopf kreisen lässt.
Am Ende fehlt bei aller Emotionalität aber dann vielleicht doch der Schuss Pop-Appeal, auf den selbst die alten Bluesmänner immer so penibel geachtet haben. Dass Pratt und Company auch Songs schreiben können, blitzt mitunter auf in dem ganzen verschwitzten Budenzauber. Zum Beispiel beim Rausschmeißer „Farewell All Good People“, einer sensiblen Gospel-Ballade. Ein paar mehr solche Ohrwürmer und diese Band wäre nicht mehr zu stoppen.  Trotzdem: ein Erlebnis.

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